Die Präsenz der Sowjetarmee und die Verhängung des Ausnahmezustandes führten in der Stadt Bitterfeld und in den Wolfener Großbetrieben am Nachmittag und Abend des 17. Juni zu einer Beruhigung der Lage, auch in der folgende Nacht konnte das VPKA "keinerlei Zwischenfälle" verzeichnen. Die Situation spitzte sich erst am Morgen des 18. Juni wieder zu, als sich der Wechsel von der Nacht- zur Frühschicht vollziehen sollte. An den Toren der Filmfabrik Wolfen wurden zwischen 4.00 und 5.00 Uhr Aushänge mit Bildern der Streikaktivisten aus diesem Betrieb angebracht, auf denen die Kollegen über deren Handlungen während der Zeit des III. Reiches aufgeklärt werde sollten. Dies sollte die einsetzende Agitation über den faschistischen Charakter des Putschversuchs vom 17. Juni unterstützen. Vor mehreren Eingängen des Werkes kam es daraufhin zwischen 5.30 und 7.45 Uhr unter den Arbeitern der Schichten, die um 6.00, 7.00 und 8.00 Uhr begannen, zu heftigen Diskussionen; die damit verbundenen Ansammlungen der Arbeiter mußten mittels Warnschüssen durch die sowjetischen Soldaten aufgelöst werden. Eine Arbeitsaufnahme erfolgte allerdings nicht, vielmehr verließ ca. ein Drittel der Schicht bis gegen 8.00 Uhr den Betrieb wieder; aufgrund dessen ruhte in mehreren Abteilungen des Werkes die Arbeit, da die anwesende Minderheit diese nicht aufnehmen konnte. Mehrere Angehörige der Intelligenz sollen, als sie Kenntnis von der Besetzung des Werkes durch die Sowjetarmee erhielten, die Arbeitsaufnahme verweigert und das Werk verlassen haben. Arbeiter aus verschiedenen Abteilungen gingen zum Sitzstreik über, um ihre Forderung nach Freilassung der inhaftierten Streikaktivisten zu bekräftigen. Ab 13.00 Uhr waren fünf Agitationsgruppen auf dem Wolfener Bahnhof bemüht, die eintreffenden Arbeiter der Spätschicht von der "notwendigkeit [sic] der Arbeitsaufnahme zu überzeugen und den Einfluss der Probokateure [sic] zu zerschlagen". Zwischen 13.15 und 15.00 Uhr lösten Angehörige des Betriebsschutzes die während des mittäglichen Schichtwechsels entstandenen Anhäufungen von Arbeitern vor den Werkstoren gewaltsam auf. Das VPA (B) konnte über diesen Einsatz berichten: "Beim Erscheinen von Angehörigen der Sowjetarmee lösten sich die Ansammlungen von Belegschafts-mitgliedern in der näheren Umgebung der Pforten automatisch auf." Die ersten Arbeiter der noch anwesenden Spätschicht, die eigentlich bis 22.00 Uhr dauerte, verließen bereits um 19.00 Uhr das Werk, um "nicht in die Sperrstunde zu kommen", allerdings dürfte die durch den Streik erzwungene Untätigkeit eher negativ auf den Willen zur Präsenz am Arbeitsplatz gewirkt haben, denn ein relativ sicherer Heimweg während der Sperrstunde wurde den Spätschichtarbeitern durch die Verteilung von Sonderausweisen gewährleistet. Als nach 21.00 Uhr die Arbeiter der Nachtschicht im Werk eintrafen, wurde wiederum mittels massiven Agitationseinsätzen versucht, die Kollegen zur Arbeitsaufnahme zu bewegen; so riefen diejenigen Beschäftigten aus der Spätschicht der Begießerei und der Vistra-Viskose-Abteilung, die offenbar am Nachmittag gearbeitet hatten, ihre Kollegen gegen 21.30 Uhr über den Betriebsfunk zur Arbeitsaufnahme auf. Die Nachtschicht arbeitete allerdings nur zu ca. 10 %. In den arbeitenden Abteilungen kam es zu Diskussionen zwischen Arbeitern und Agitatoren der BPO, in denen Forderungen nach Rücktritt der Regierung sowie Senkung der Funktionärs- und Intelligenzgehälter geäußert wurden. Insbesondere wurde die Abgabe von Warnschüssen durch die sowjetischen Soldaten an den Betriebstoren zu den jeweiligen Schichtwechseln kritisiert. Die Funktionäre wurden aufgefordert, sich für die Unterlassung derartiger Maßnahmen bei den Offizieren der Sowjetarmee einzusetzen.
In der Farbenfabrik Wolfen streikten an diesem Tag 1570 Beschäftigte, was etwa 27 % der Betriebsangehörigen entsprach; sie forderten die Freilassung der inhaftierten Streikaktivisten. In den chlorverarbeitenden Betrieben des Werkes wurde gegen 13.00 Uhr die Arbeit eingestellt; die dortigen Arbeiter formulierten folgende Forderungen:
"1. Einberufung einer gesamten Belegschaftsversammlung 2. Freilassung der Inhaftierten 3. Freie[,] demokratische und geheime Wahlen in ganz Deutschland 4. Zulassung sämtlicher großen Parteien in Deutschland 5. Sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes 6. Wegfall der technisch begründeten Arbeitsnormen 7. Wegfall der Zonengrenzen 8. Allmähliche Senkung der HO-Preise bis 40 %. 9. Keine Senkung der Löhne."
Im EKB erschien gegen 6.00 Uhr nur ein Drittel der Frühschicht. Die Tagschicht erschien dagegen zu 80 %, nahm die Arbeit aber nicht auf. Belegschaftsversammlungen in verschiedenen Abteilungen - wie der Bauabteilung - wurden durchgeführt, auf welchen neben dem sofortigen Rücktritt der gewerkschaftlichen Vertretungen der "Abzug der Besatzungstruppen aus dem Werk" gefordert wurde. Mit dem Bekanntwerden der Verhaftung verschiedener Kollegen erschienen im Laufe des Vormittags mehrere Delegationen der Belegschaft bei der Werkdirektion, deren Hauptforderung die "Freilassung der festgenommenen Streikleitung" war. Die sowjetische Militärkommandantur beauftragte den Betriebsschutz mit der Verweisung der nicht arbeitsbereiten Belegschaftsmitglieder aus dem Werk, ihnen sollten die Werksausweise abgenommen werden, was einer Aussperrung dieser Kollegen gleichkam. Bis 12.00 Uhr sollten außerdem alle Sichtwerbungen und sonstige Propagandaelemente im Werk wieder hergestellt werden. Die im Werk tätigen Fremdfirmen stellten am Vormittag teilweise ihre Arbeit ein bzw. arbeiteten nur unter Aufsicht von Polizisten oder Soldaten. Nach Beendigung der Tagschicht um 16.00 Uhr trat im Werk allgemein Ruhe ein; die nach dem Mehrschichtsystem organisierten Produktionsbetriebe sollen während der Spät- und Nachtschicht normal gearbeitet haben.
In einigen Bitterfelder und Wolfener Verkaufseinrichtungen der Konsumgenossenschaft hatten die Verkäuferinnen am Vormittag ihre Arbeit niedergelegt. Auch HO-Geschäfte waren geschlossen worden, da sich hier Verkäuferinnen nach Anpöbelungen bedroht fühlten. Die Streikleitung des Reichsbahnbetriebswerks Bitterfeld löste sich mit der Begründung selbst auf, daß die Streikversammlung und die Wahl der Streikleitung am 17. Juni deshalb eine unnötige Handlung war, weil "die von der Regierung eingeleiteten Schritte im Bezug auf Verbesserung der allgemeinen Lebenslage in der DDR sowie die sonst begangenen Fehler im allgemeinen berichtigt werden"; die Belegschaft wurde zur Arbeitsaufnahme aufgefordert. 50 bis 60 Arbeiter des Holzlagerplatzes der Bauunion in Bitterfeld hatten die Arbeit niedergelegt und hatten ihren Arbeitsplatz verlassen. Der Kreisbaubetrieb arbeitete nur mit einem Drittel der üblichen Belegschaftsstärke. In zwei von drei Bitterfelder Steinzeugbetrieben ruhte an diesem Tag die Arbeit zum größten Teil. In der Firma M. Martin wurde am 18. Juni um 7.00 Uhr erneut eine Belegschaftsversammlung abgehalten, auf der man - entgegen den Empfehlungen des Betriebsleiters - die Weiterführung der Arbeitsniederlegung beschloß; die Belegschaft verblieb bis 16.00 Uhr untätig im Betrieb. Im Werk Freiheit trat um 6.00 Uhr der Kohleabraumbetrieb in den Streik, später schlossen sich die Beschäftigten der Werkstatt I und der Brikettfabriken I und II dem Streik an; sie forderten die Freilassung der inhaftierten Streikaktivisten. Im Werk Holzweißig verließen die Beschäftigten der Fremdfirmen nach morgendlichen Diskussionen gegen 7.00 Uhr das Betriebsgelände; im Betrieb streikten die Arbeiter der Haupt- und Abraumwerkstatt. Sie stellen folgenden Forderungskatalog auf:
"1.) Inhaftierten freilassen 2.) Abraum-Soll herabsetzen 3.) Aussprache über Betriebskollektiv-Vertrag 4.) Einführung der 6-Tage-Woche, keine Sonntagsarbeit mehr und wenn sonntags gearbeitet werden muß, nur mit 50 % Zuschlag. 5.) Wiedereinführung der Spirituosenzuteilung 6.) Anstelle des Rückwärtsschichtwechsels Vorwärtsschichtwechsel 7.) An allen gesetzlichen Feiertagen und am Tag des Bergmanns nicht arbeiten, 8.) Statt 14-tägiger Lohnzahlung wöchentliche Lohnzahlung 9.) Absetzung der Regierung 10.) Absetzung der Parteisekretäre und der BGL 11.) Aufhebung der Korea-Spenden und sämtlicher anderer Spenden 12.) Bergmannstreuegeld nicht nur für Produktionsarbeiter, sondern für alle Beschäftigten des Bergbaus."
Im Werk II des VEB EKM Rohrleitungsbau Bitterfeld wurde von der Belegschaft, nachdem sie in zweideutiger Weise von Max Schlittchen zur Arbeitsaufnahme aufgefordert worden war, die Weiterführung des Streiks beschlossen; sie forderte die "Freilassung der Inhaftierten und Streichung des Passus aus der Regierungsanordnung, wo es heißt, daß mit allen Mitteln gegen Provokateure vorzugehen ist und eine Bestrafung der Schuldigen zu erfolgen hat". Teile der Belegschaft des Werks III des VEB EKM Rohrleitungsbau in Muldenstein erschienen um 6.00 Uhr im Werk, nahmen die Arbeit aber nicht auf. Die private Ziegelei Muldensteiner Werke und die Firma Stößel schlossen sich diesem Ausstand an. Am Morgen des 18. Juni wählten die Beschäftigten des Reichsbahnkraftwerks Muldenstein gemeinsam mit den dort tätigen Angehörigen von Fremdfirmen eine Streikleitung, welche die Forderungen der Belegschaftsmitglieder durchsetzen sollte. Man erklärte seine "Solidarität gegenüber den Großwerken" im Kreis und trat an diesem Tag wieder in den Ausstand. Verschiedene Streikleitungsmitglieder versuchten mit diesen Großwerken dadurch Verbindung aufzunehmen, daß sie auf einem LKW zu ihnen fuhren. Einige Streikaktivisten wurden bei diesem Versuch von der Polizei festgenommen. Das Streikkomitee löste sich am selben Nachmittag - offenbar unter großem Druck von Seiten der betrieblichen Funktionäre - wieder auf. Im Grundstoff- und Textilwerk Pouch waren 50 % der Beschäftigten in den Ausstand getreten. Im VEB Preß- und Stanzwerk Raguhn streikten die Beschäftigten noch in mehreren Betriebsteilen. Auch die Belegschaft des VEB Papierwerke Jeßnitz hatte die Arbeit niedergelegt.
In den meisten anderen Betrieben des Kreises soll an diesem Tag gearbeitet worden sein, über größere Störungen der öffentlichen Ordnung wurde vom VPKA nichts berichtet. Die SED-Kreisleitung wiederum berichtete von einer größeren Menschenansammlung auf dem Bitterfelder Marktplatz gegen 16.00 Uhr, die durch Warnschüsse von Sowjetsoldaten aufgelöst werden mußte; hierbei kann es sich aber um einen Irrtum bzw. eine Verwechslung mit dem Vortage handeln, da an keiner anderen Stelle über einen derartigen Zwischenfall berichtet wurde.
In verschiedenen Schulen des Kreises kam es am 18. Juni zu Unterrichtsboykotts. So waren in der 1. Oberschule in Bitterfeld zwar alle Schüler anwesend, jedoch waren nur 40 von 120 Schülern bereit, am Unterricht teilzunehmen. In diesem Zusammenhang wurde der große Einfluß der Jungen Gemeinde auf die Schüler von der SED-Kreisleitung beklagt. Lediglich zwei der Schüler mit FDJ-Funktionen waren zum Unterricht bereit. In der Wolfener Oberschule waren zwei Drittel der Schüler nicht zum Unterricht erschienen. In einer Brehnaer Grundschule kam es zu einem Schweigestreik gegen den Russischunterricht in einer fünften Klasse.
Bereits um 4.00 Uhr wurde von der Filmfabrik Wolfen in den umliegenden Ortschaften lautstark zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgerufen. Zwischen 5.00 und 8.00 Uhr erschienen ca. 50 % der regulären Belegschaft im Werk, jedoch verließen bald darauf einige Arbeiter den Betrieb wieder, was auch durch Agitationseinsätze nicht verhindert werden konnte. Bei Schichtbeginn kam die Forderung nach Freilassung der verhafteten Streikleitung auf, was in den Werkstätten T III Nord und Süd und in der Autowerkstatt ab ca. 8.30 Uhr durch Sitzstreiks bekräftigt wurde. In diesen Abteilungen wurden ab 9.20 Uhr Agitatoren aus dem Stickstoffwerk Piesteritz und den Gewerkschaftsschulen Großkühna und Besenstadt eingesetzt, um die dortigen Kollegen zur Beendigung der Arbeitsniederlegungen zu bewegen. Das Gerücht von einem bevorstehenden Generalstreik machte am Vormittag im Werk die Runde, einige Betriebsangehörige verließen daraufhin das Werk. Wie ernst die sowjetische Besatzungsmacht dieses Gerücht nahm, verdeutlichte das Eintreffen von weiteren fünf mit Soldaten besetzten LKW der Sowjetarmee gegen 11.00 Uhr im Werk; diese Soldaten waren mit Schnellfeuerwaffen ausgerüstet. Um 12.00 Uhr trafen des weiteren 30 Angehörige der Wacheinheit Wolfen im Werk ein. Zu dieser Zeit wurde im Betriebsfunk bekanntgegeben, daß über Bitterfeld der Kriegszustand verhängt wurde. Der deutsche Werkleiter Dr. Bienen versuchte am Nachmittag und am Vormittag des 20. Juni die Belegschaft zur Arbeitsaufnahme zu bewegen, da offenbar bereits erhebliche Produktionsrückstände eingetreten waren. Zwischen 13.00 und 20.00 Uhr wurden im Werk von Sowjetarmee, MfS, Betriebsschutz und Kriminalpolizei noch einmal neun Streikaktivisten festgenommen; diese wurden zur UHA nach Bitterfeld gebracht. Die beim mittäglichen und abendlichen Schichtwechsel vor mehreren Betriebstoren auftretenden Ansammlungen wurden wiederum aufgelöst. Die Nachtschicht nahm zu 36 % ihre Arbeit auf.
Im EKB wurde am Vormittag in den Bauhandwerksabteilungen I bis III, in den Werkstätten I, II und VII sowie in der Rangierabteilung die Belegschaft "nach harter Auseinandersetzung zur Arbeit aufgefordert", wobei die erzielten Arbeitsergebnisse eher von mäßiger Qualität waren. Vor allem Jugendliche sollen versucht haben, ältere "Kollegen durch Diskussionen von der Arbeit fernzuhalten". Die Tagschicht hatte hier insgesamt zu 60 % gearbeitet; die Nachtschicht war zu 70 % anwesend.
In der Farbenfabrik Wolfen wurde an diesem Tag nur schleppend gearbeitet, Agitationsgruppen der BPO versuchten die Arbeitsmoral der Kollegen zu heben; in den Werkstätten I und II sowie in den Reparaturbetrieben wurde dagegen noch gestreikt.
Im Werk Freiheit sollen nach Diskussionen mit Funktionären des Betriebes einige Abteilungen die Arbeit wieder aufgenommen haben. Die Belegschaft der Grube Gotsche soll jedoch geschlossen das Betriebsgelände des Werkes verlassen haben und nach Bitterfeld marschiert sein. Die Arbeiter der Bauunion Bitterfeld streikten auch an diesem Tage. Von der SED-Kreisleitung wurde vermutet, daß von der Belegschaft dieses Betriebs Versuche ausgingen, die Arbeiter anderer Werke zur Arbeitsniederlegung zu bewegen. Die Belegschaft der Werke II (Bitterfeld) und III (Muldenstein) des VEB EKM Rohrleitungsbau nahmen auch an diesem Tag ihre Arbeit nicht auf; auch im Werk I dieses Betriebes soll gestreikt worden sein.
Alle vier Betriebsteile des VEB Preß- und Stanzwerks Raguhn hatten gestreikt; die Belegschaftsmitglieder des Reichsbahnkraftwerks Muldenstein waren im Ausstand. Auf der Baustelle L-Werk Muldenstein soll es an diesem Tage zu einen Einsatz von einer Einheit der KVP gegen streikprovozierende Agenten gekommen sein. Mannschaften der KVP wurden auch zur Sicherung von Bahnhöfen, dem Betriebswerk, der Meisterei und der Starkstromanlage der Deutschen Reichsbahn im Kreis Bitterfeld eingesetzt.
In den Finkenherder Obstwerken in Zörbig wurde um 10.00 Uhr eine Belegschaftsversammlung durchgeführt, auf der es zu heftigen Diskussionen zwischen der Belegschaft und dem Personalleiter Schleier über die Berechtigung der Streiks am 17. und 18. Juni in der DDR kam. Von Gewerkschaftsvertretern der Belegschaft wurde eine Liste mit sieben wirtschaftlichen und politischen Forderungen erarbeitet, die in ihrem Wesen den in Bitterfeld aufgestellten Forderungen glichen. Zusätzlich tauchte hier - wie bereits auf der morgendlichen Kundgebung in der Farbenfabrik Wolfen am 17. Juni - die Forderung nach Beseitigung der Oder-Neiße-Grenze auf. Zur Bekräftigung dieser Forderungen trat die Belegschaft der Obstwerke für den Rest dieses Tages in den Streik. Die Belegschaft der Firma Paternoster hatte für den 19. und 20. Juni "regulär Urlaub genommen", d. h. auch in diesem Betrieb ruhte die Arbeit. Die Belegschaft des VEB Kartonwerk Bitterfeld legte am Vormittag zeitweilig die Arbeit nieder, um sich mit den streikenden Kollegen anderer Betriebe solidarisch zu zeigen. Von der SED-Kreisleitung wurde berichtet, daß an diesem Tag von insgesamt 19 sich im Kreis befindenden VEB oder Verwaltungsbetrieben nur fünf die Arbeit aufgenommen hatten.
In den Gemeinden Salzfurthkapelle und Talheim sollen sich an diesem Tage die dortigen LPG aufgelöst haben, da "es die schwächsten LPGs [im Kreis] sind, die noch nicht organisatorisch gefestigt waren". Auf dem Land sollen Kradkuriere die Bevölkerung zur Arbeitsniederlegung aufgerufen haben.
In Bobbau, Jeßnitz, Raguhn und Wolfen traten erste Versorgungsproblem auf. Durch den Streik im VEB Preß- und Stanzwerk Raguhn war die dortige Wasserversorgung gefährdet, Angstentnahmen der Bevölkerung verschärften die Situation weiter. Außerdem begann die Bevölkerung Angstkäufe zu unternehmen, da der Ausbruch eines Generalstreiks erwartet wurde.
Auch an diesem Tag gab es an verschiedenen Schulen des Kreises Unruhe unter den Schülern. Die Wolfener Oberschule blieb geschlossen, da hier der Unterricht wiederum bestreikt werden sollte; auch in Greppin soll eine Schule - wahrscheinlich eine Grundschule - nicht gearbeitet haben. Verschiedene Lehrer beschwerten sich über randalierende und prügelnde Schüler, sie forderten die Wiedereinführung der Prügelstrafe, wie die Bezirksleitung der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung berichtete.
Am 20. Juni erscheinen ca. 85 % der Früh- und Tagschicht in der Filmfabrik Wolfen. Die Produktion wurde, nachdem man unterbrochene chemische Prozesse wieder zur Reaktion brachte, offenbar fast vollständig aufgenommen. Der Betriebsschutz verzeichnete in einigen Abteilungen sogar "eine seltene Arbeitsintensität und Disziplin", einige Arbeiter meldeten sich gar zu freiwilligen Sonntagsschichten, um den entstandenen Produktionsrückstand aufzuholen. Bei diesen Kollegen fruchtete die massive Agitation der Betriebsleitung und der BPO vom 18. und 19. Juni; sie erhofften sich dadurch von den Funktionären offenbar die Erteilung von Absolution für ihr Protestverhalten. Auf dem Werksgelände wurden erneut vier Streikaktivisten, welche zwischenzeitlich entlassen worden waren, festgenommen. Die Belegschaft der Nachtschicht zwischen dem 20. und 21. Juni erschien zu 95%, die Arbeitsaufnahme wurde offenbar nicht verweigert.
Im EKB kam es am 20. Juni - nach den Angaben des VPA (B) - quasi zur vollständigen Aufnahme der Arbeit, es fehlten lediglich 1,7% der Belegschaft, darunter 70 Lehrlinge. Die seit dem 18. Juni im Werk präsenten sowjetischen Panzer wurden in der Nacht vom 19. zum 20. Juni abgezogen. Der Betriebsschutz und die Sowjetarmee reagierten mit verstärkter Wachsamkeit auf Gerüchte, welche besagten, daß am Muldewasserwerk oder der Kraftzentrale des Betriebes Sabotageaktionen durchgeführt werden sollen. In diesen Gerüchten wurde auch von bevorstehendem Sirenengeheul und Glockengeläut als Symbol der Trauer um die Toten des 17. Juni gemunkelt. Dem Betriebsschutz wurde zu seiner Verstärkung ein Zug der KVP in der Nacht vom 21. zum 22. Juni zugeordnet. Weiterhin wurden in der selben Nacht zwei Streikaktivisten des Betriebes in ihren Wohnungen verhaftet.
Von den 19 VEB und Verwaltungsbetrieben im Kreis arbeiteten 17 Betriebe, die Firma Holzverarbeitung Greppin wurde zu 90 % bestreikt, die Belegschaft der Firma Paternoster war noch in Urlaub, in der Firma M. Martin wurde die Arbeit offenbar erst am 22. Juni wieder aufgenommen.
In den Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) des Kreises wurde am 21. Juni planmäßig der Tag der Erntebereitschaft durchgeführt. Aus den einzelnen MTS wurden zwar keine Zwischenfälle gemeldet, doch wurde der "Besuch der werktätigen Bauern ... [als] schwach" bewertet. In zwölf LPG des Kreises wurde Anfang Juli eine große Zahl von Austritten registriert; die Gründe für dieses Auflösungstendenzen wurden von der SED-Kreisleitung vor allem den von den Bauern erwarteten guten Ernteerträgen zugeschrieben, welche die Landwirte "nicht mit anderen [Bauern] teilen wollen." Außerdem herrschte offenbar vielfach die Meinung vor, daß sich die Bedingungen für den eigenen landwirtschaftlichen Betrieb durch die jüngste Regierungsverordnung verbessert hätten, man als Einzelbauer also wieder Vorteile gegenüber der LPG habe. Hinzu kam die Verbitterung vieler LPG-Mitglieder über die angekündigte Rückgabe von landwirtschaftlichen Betrieben an die nach Westdeutschland geflüchteten Besitzer, sofern diese auf ihre Höfe zurückkehrten. Diese nach der Flucht der Besitzer unter staatlicher Verwaltung stehenden Höfe waren - wenn möglich - den jungen und oft noch mitgliederschwachen LPG zur Bearbeitung zugeordnet worden, nicht ohne die entsprechenden Abgabekennziffern der LPG entsprechend zu erhöhen. Die Folge war, daß die einzelnen LPG-Mitglieder entweder mit Arbeit überlastet waren oder ihre landwirtschaftliche Arbeit nicht in angemessener Qualität verrichten konnten. Die angekündigten Rückgaben stellten nun für die einzelnen LPG-Mitglieder die genossenschaftliche Intention der LPG derart in Frage, daß sie in ihr nur noch ein staatliches Instrument zur Ausbeutung des einzelnen Mitgliedes sahen. Dies war für den Bestand der LPG wahrlich nicht förderlich.
Am 24. Juni wurde durch die SED-Kreisleitung eine starke Verringerung der Fleischvorräte im Kreisgebiet registriert, der Lebensmittelkartenvorrat hätte offenbar nur noch für einen Zeitraum von zehn Tagen ausgereicht. In den Geschäften der HO soll dagegen fast kein Fleisch mehr zu bekommen gewesen sein. Als Grund für diesen Engpaß wurde angegeben, daß Lieferverträge nicht eingehalten wurden.
Die Zahl der Streikenden nahm nach dem 17. Juni ständig ab. Spätestens ab dem 19. Juni konnte es insbesondere in den Großbetrieben nicht mehr zu Arbeitsniederlegungen kommen, da nicht arbeitende Werktätige aus den Betrieben verwiesen wurden. Die Form des Protestes stellte zunächst das Fernbleiben vom Arbeitsplatz dar, aber auch die Quote der nicht anwesenden Betriebsangehörigen reduzierte sich bis zum Wochenende (20./21. Juni) auf einen kleinen Prozentsatz. Ab dem 22. Juni kann daher wieder von einer Arbeitsaufnahme in quasi vollem Umfang gesprochen werden.
Der Protest der Arbeiterschaft gegen ihre noch immer schlechte wirtschaftliche Situation wurde nunmehr wieder am Arbeitsplatz deutlich gemacht. Forderungen nach Abbau des Funktionärsapparates der BGL im Betrieb, der Überprüfung von Intelligenzgehältern und der Bezahlung der Streiktage vom 17. und 18. Juni wurden beispielsweise am 25. Juni in der Farbenfabrik Wolfen laut. Da die Bezahlung der Streiktage bis in die Mitte des Monats Juli nicht geregelt wurde, sahen sich die Arbeiter der Farbenfabrik Wolfen am 10. Juli gezwungen, ihre Forderung durch Arbeitsniederlegungen zu unterstreichen.
Die Forderung der Werktätigen nach Freilassung der inhaftierten Streikaktivisten erhielt durch das Interview von Justizminister Max Fechner (SED) im Neuen Deutschland vom 30. Juni neuen Auftrieb. Am 8. Juli wurde von Teilen der Belegschaft der Farbenfabrik Wolfen zur Untermauerung dieser Forderung erneut Streikbereitschaft bekräftigt. Am 15. und 16. Juli kursierten in den Reparaturwerkstätten IV und VI des Werkes Unterschriftenlisten mit der Forderung nach Freilassung des Streikaktivisten Klein, eine Belegschaftsdelegation aus der Werkstatt IV wollte diese Liste am 16. Juli um 6.30 bei der BGL einreichen, tat dies aber offenbar nicht. Statt dessen wurden diese Listen nach einer harten Auseinandersetzung zwischen Belegschaftsmitgliedern und Funktionären der BPO beschlagnahmt; es konnten zwei Listen mit insgesamt 90 Unterschriften sichergestellt werden. Die hierbei lokalisierten Urheber der Unterschriftenaktionen wurden fristlos entlassen. Außerdem wurden in diesem Betrieb Geldsammlungen zur Unterstützung der Familien von verhafteten Streikaktivisten durchgeführt; den Umfang der gesammelten Summe schätzte die BDVP Halle auf ca. 10.000 DM (ein Drittel der übliche Summe der FDGB-Beiträge).
Es tauchten in der ersten Julihälfte immer wieder Gerüchte über bevorstehende Streiks und Demonstrationen auf, so diskutierten einige Arbeiter der Filmfabrik Wolfen in der Nachtschicht von 8. zum 9. Juli über einen Sitzstreik und einen Demonstrationszug nach Bitterfeld am nächsten Tag. Zur Bekräftigung der Forderung nach Freilassung der inhaftierten Streikaktivisten kam es auch in der Schlosserei der Filmfabrik Wolfen um die Mitte des Monats Juli zu Geldsammlungen, die aber offenbar von der BPO unterbunden wurden; auch unter der sogenannten Intelligenz wurde die Freilassung von verhafteten Kollegen - beispielsweise von Arthur Kobes - gefordert.
Um den 25. Juni kursierten unter der Belegschaft der Grube Gotsche des Werkes Freiheit Listen, in denen die Arbeiter ihren Austritt aus den Massenorganisationen erklären sollten. Am Mittag des 15. Juli traten 80 bis 100 Kollegen der Schlosserwerkstatt I des Werkes Freiheit in den Sitzstreik, ihre Motive waren nicht zu ermitteln. Der Streik wurde von betrieblichen Funktionären mittels massiver Agitation beendet.
Unter dem 16. Juli wurde von der BDVP Halle vermerkt, daß ein Arbeiter aus dem Werk Holzweißig auf seinem Weg zur Arbeit im Zug zwischen Zörbig und Bitterfeld darüber berichtet hatte, "dass heute auf beschlusz der streikleitung eine delegation nach berlin faehrt, um dort die forderung [zu] stellen, dass die anlaesslich des 17. 6. 53 festgenommenen wieder freizulassen [sic]" sein. Im Zusammenhang damit sollen die Arbeiter den Generalstreik angedroht haben. Über die Realisierung dieses Vorhabens konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.
Am 19. Juli wurden im Stadtgebiet von Bitterfeld 25 Flugschriften aufgefunden, in welchen man die Freilassung der Inhaftierten und die Senkung der HO-Preise um 40 % forderte.
Im Kreisgebiet wurde der Ausnahmezustand trotz der sich wieder zuspitzenden Situation am 13. Juli aufgehoben. Das VPKA wurde zu dieser Zeit durch 200 KVP-Angehörige verstärkt, die in Bitterfeld und Wolfen Streifendienst versahen.
Der Verlauf des Aufstandes am 17. Juni im Bitterfelder Revier kann in fünf Phasen differenziert werden. Dabei stellt diese Struktur nicht einfach eine chronologische Ereignisfolge dar, sondern muß als systematische Gliederung teilweise parallel verlaufender Prozesse aufgefaßt werden. Dieses System ist auch nicht zur vollständigen Systematisierung aller mit dem Aufstand in Zusammenhang stehenden Ereignisse im Kreis Bitterfeld geeignet, vielmehr möchte ich damit eine Interpretationshilfe für die grundlegenden Entwicklungen an den zentralen Aktionspunkten entwickeln.
1. Am Morgen des 17. Juni sammelten sich zunächst nach dem Schichtbeginn in den Großbetrieben der Region mehr oder minder starke Gruppen von Arbeitern, die hauptsächlich in Werkstattbetrieben beschäftigt waren, um ihrem Protest gegen betriebliche Normenwillkür und staatliche Reglementierung des Lebensniveaus Ausdruck zu verleihen. Der unmittelbare Anlaß für diese innerbetrieblichen Demonstrationen kann mit Sicherheit nur für das EKB rekonstruiert werden, wo man in verschiedenen Werkstätten gegen die angenommene Inhaftierung zweier Kollegen aufbegehrte. Die Märsche durch die verschiedenen Werke begünstigten die Mobilisierung großer Teile der noch arbeitenden Belegschaften der Produktionsbetriebe, so daß sich jeweils vor den betrieblichen Verwaltungszentren weit über eintausend Belegschaftsmitglieder zu Kundgebungen versammelten. Hier wurden erste Forderungskataloge formuliert, die sich vor allem mit Norm- und Preissenkungen, mit innerbetrieblichen Problemen, aber offenbar auch bereits mit politischen Fragen beschäftigten. Lediglich in der Filmfabrik Wolfen, wo die anwesende Belegschaft das Angebot der Werkleitung zu bilateralen Verhandlungen annahm, wurde in dieser Phase eine Streikleitung bestimmt. Versuche, eine Beschwichtigung der Arbeitermassen durch Verhandlungsangebote zu erreichen, sind auch aus den anderen beiden Großbetrieben nachzuweisen; hier formierten sich die Belegschaftsmitglieder aber spontan zu Demonstrationszügen, um nach Bitterfeld zu marschieren. (Auch die Belegschaft der Filmfabrik Wolfen ließ sich von einer derartigen Demonstration nicht abhalten.) Diese (erste) innerbetriebliche Phase endete zu dem Zeitpunkt, als die Demonstrationszüge die jeweiligen Betriebsgelände verließen, um mit ihren Kollegen aus den anderen Werken gemeinsam nach Bitterfeld zu demonstrieren.
Die Ursache für die gegenseitige Inspiration dieser Belegschaften mag darin zu suchen sein, daß die Firmen dem gleichen Industriesegment angehörten und daß es in den Betrieben größere Beschäftigtengruppen mit vergleichbaren Berufsbildern gab. Die Ähnlichkeit des Berufsalltages war mithin der Kommunikation der Arbeiter aus den verschiedenen Betrieben im Wohnumfeld und somit dem Entstehen eines Solidaritätsgefühls förderlich. Durch das gegenseitige Kennen, was sicherlich auch einer mehr oder minder großen Arbeitskräftezirkulation zwischen den Firmen geschuldet war, wurde die zwischenbetriebliche Kommunikation auf Belegschaftsebene möglich, somit auch die gegenseitige Information oder Absprache von Arbeitskämpfen.
2. Die gemeinsamen Märsche der Chemiearbeiter und ihre Kundgebung auf dem Platz der Jugend in Bitterfeld bildeten quasi die zweite Ereignisphase. Der dreizügigen Demonstration schlossen sich ständig Belegschaftsmitglieder von Industrie-, Bau-, Bergbau- und Dienstleistungsbetrieben, Verwaltungen, aber auch Bevölkerungsteile aus Wolfen, Greppin und Bitterfeld an. Die am späten Vormittag auf dem Platz der Jugend stattfindende Kundgebung mit der Formulierung des Elf-Punkte-Programms durch Wilhelm Fiebelkorn und die Bestimmung des Kreisstreikkomitees markierte den Höhepunkt der Protestaktionen und gleichzeitig den Beginn des Aufstandes im Kreis Bitterfeld. Die Bestimmung des Kreisstreikkomitees kann aber nicht als das Bemühen "umsichtige[r] Männer, die einzelnen Streikdelegationen zu revolutionären Kreis- und Stadträten zu vereinigen" angesehen werden, vielmehr kann dies als eine bereitwillige, da auf Orientierungslosigkeit basierende Delegation der errungenen bzw. noch zu erringenden Macht der Massen auf eine durch Zuruf erkorene Elite interpretiert werden.
3. Die Besetzung und Verwüstung von Verwaltungen, Schulen und Gebäuden gesellschaftlicher bzw. politischer Organisationen und nicht zu vergessen, die Freilassung einer großen Zahl von in der UHA einsitzenden Häftlingen, stellte die dritte Phase der Bitterfelder Ereignisse am 17. Juni dar. Durch das Überschreiten dieser Konfliktlinie in der Auseinandersetzung zwischen Aufständischen und Staatsmacht erschien dieser Konflikt in den Mittagsstunden durch das völlige Versagen jeglicher staatlicher Autorität gelöst.
4. Doch das Kreisstreikkomitee, welches zu dieser Zeit seine Tagung im Bitterfelder Rathaus begann, vermochte das entstandene Machtvakuum - da es selbst bar jeglicher Exekutivinstrumente war - nicht zu füllen. Die Notwendigkeit einer dauerhaften Besetzung und Sicherung der Objekte - vor allem der Sicherheitsorgane - wurde von den Mitgliedern des Kreisstreikkomitees nicht erkannt. Der Versuch, die durch den Aufstand freiwerdenden Kräfte der aufständischen Arbeiterschaft für eine geordnete Weiterführung desselben, d. h. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nutzbar zu machen, verdeutlichte hier eher eine konservative Grundhaltung der maßgebenden Personen im Kreisstreikkomitee zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft in revolutionären Situationen. Die nicht auf Verteidigung der errungenen Machtpositionen ausgerichtete Arbeit des Kreisstreikkomitees war also schon im Vornherein zum Scheitern verurteilt. Allerdings stellte das an die DDR-Regierung abgesetzte Telegramm - was von mir in den Quellen nun erstmals nachgewiesen werden konnte - das einzig nachweisbare Dokument einer überbetrieblichen Vertretung der protestierenden Massen vom 17. Juni 1953 dar. Die Tagung des Kreisstreikkomitees kann als vierte Phase des Bitterfelder Austands angesehen werden.
5. Das Protestbedürfnis der meisten Arbeiter hatte sich mit der Demonstration und der Kundgebung, spätesten aber mit der Zerschlagung der verschiedenen Staatsorgane gestillt; sie zogen sich in ihre Betriebe zurück und begaben sich von dort auf den Heimweg oder führten den Arbeitskampf im eigenen Werk fort - die fünfte Phase der Auseinandersetzungen begann am frühen Nachmittag. Diese (zweite) innerbetriebliche Phase verlief innerhalb der einzelnen Firmen ebenso unterschiedlich wie jene am Vormittag. In der Filmfabrik Wolfen, wo die am Morgen gebildete Streikleitung offenbar über den gesamten Vormittag und Mittag mit Verhandlungen und Organisationsproblemen beschäftigt war, trat am Nachmittag - als zunehmend Demonstranten aus Bitterfeld ins Werk zurückkehrten - dadurch in der Arbeit des Streikkomitees relative Ruhe ein, weil die maßgeblichen Streikaktivisten zum Kreisstreikkomitee nach Bitterfeld fuhren, um sich über die allgemeine Lage und die weitere Verhaltensweise der Streikenden zu informieren. In der Farbenfabrik Wolfen wurden dagegen von aus Bitterfeld zurückkehrenden Streikaktivisten heftige Aktivitäten zur Bildung einer betrieblichen Streikleitung auf einer Versammlung am Nachmittag entfaltet; diese Streikleitung war daraufhin noch bis in die Abendstunden mit organisatorischen Problemen beschäftigt. Verhandlungen mit der Betriebsleitung wurden von ihr nicht durchgeführt. Im EKB kam es dagegen nicht zur Bildung einer gesamtbetrieblichen Streikleitung, da dem wahrscheinlich die Flächenstruktur des Werkes und das Fehlen von Streikaktivisten mit Integrationsfähigkeit entgegen standen. Jedoch wurden auf der Ebene der Abteilungen um so heftigere Protestaktivitäten entfaltet, die teilweise - da sie von den Sicherheitsorganen weniger exakt faßbar waren - bis in den 18. und 19. Juni hinein anhielten. In den übrigen Firmen des Kreises, deren Belegschaften an der Bitterfelder Kundgebung teilgenommen hatten, kam es nach deren Rückkehr am Nachmittag größtenteils zu Belegschaftsversammlungen und Wahlen von Streikleitungen. Diese sollten die Aufgabe haben, einerseits die Realisierung der in den Versammlungen den Betriebsleitungen abgetrotzten Zugeständnisse zu überwachen, andererseits die Weiterführung des Streiks an den nächsten Tagen zu organisieren. In den Firmen im Kreis, die keine unmittelbare Verbindung nach Bitterfeld hatten, unterschied sich das Geschehen am 17. Juni teilweise erheblich. So kam es in einigen Betrieben - unabhängig von den Bitterfelder Ereignissen - zu Arbeitsniederlegungen und auch zu Demonstrationen, zum Teil verhielten sich die Beschäftigten - vor allem von kleinen Betrieben - völlig indifferent zu den aktuellen Ereignissen. Dies mag einerseits einer offiziellen Informationspolitik geschuldet gewesen sein, die glaubhafte Nachrichten über Ereignisse aus den Zentren der DDR nur spärlich und mit Verzögerung in die Winkel der Republik fließen ließ, doch es muß andererseits angenommen werden, daß das Informationsdefizit im Bezug auf die Ereignisse in der nahen Kreisstadt auf Grund von lokalem Geschäfts- und Individualverkehr nicht so gravierend gewesen sein kann, daß man in den Dörfern des Kreises am 17. Juni nichts über die Unruhen in Bitterfeld erfahren hatte. Daher ist anzunehmen, daß in diesen kleinen Firmen eine unmittelbare Veranlassung zum Arbeitskampf nicht gegeben war, darüber hinaus auch politische Forderungen für die dort Beschäftigten offenbar nicht auf der Tagesordnung standen.
Der 17. Juni 1953 war im Kreis Bitterfeld ein zu einem Aufstand mutierter Arbeitskampf. Daß die Ereignisse in Bitterfeld um die Mittagszeit am 17. Juni die Qualität eines Ausstandes erreicht haben, wurde bereits ausgeführt. Jedoch hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ein großer Teil der die Demonstrationen und die Kundgebung am Vormittag tragenden Masse der Werktätigen - offenbar über den erreichten Stand des Arbeitskampfes befriedigt - von dem Geschehen abgewandt und sich in seine Betriebe zurückgezogen. Der Arbeitskampf, als der die Ereignisse in den Morgenstunden begonnen hatten, sollte von ihnen in den Betrieben - am Ort der klassischen Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber - fortgeführt werden.
Die offenbar recht schnell auftauchenden politischen Forderungen waren gegen den Staat - vertreten durch die Betriebsleitung - als Arbeitgeber gerichtet, dem sich die Arbeitnehmer gegenübergestellt sahen. Somit muß die Kritik an der DDR-Regierung und der SED hauptsächlich als Kritik am Arbeitgeber gewertet werden. Die Enttäuschung und Verärgerung der Arbeiterschaft über die Politik dieser beiden Institutionen, die sich ja als Sachwalter von Arbeiterinteressen darzustellen pflegten, verhärtete ihre Haltung gegenüber dem Arbeitgeber zunehmend. Der Streik, die Demonstrationszüge und die Kundgebung müssen als Signalisierung der Kraft der Arbeiterschaft gegenüber dem Arbeitgeber interpretiert werden. Das Zurückkehren großer Teile der Bitterfelder und Wolfener Werktätigen in ihre Betriebe war demnach keine Kapitulation vor dem Staat, sondern wies ihm eine Gelegenheit zum Handeln, d. h. zum Erfüllen der Forderungen der Arbeiterschaft zu. Mit dem Beseitigen des Staates, der ja der Arbeitgeber war, wäre der Zweck eines Arbeitskampfes, nämlich dem Arbeitgeber Handlungsspielraum zur Erfüllung der eigenen Forderungen zu überlassen, nicht erreicht und letztendlich negiert worden. Dieses Handlungsmuster war in der Zeit vor dem III. Reich häufig erprobt worden und kann auch in den Bitterfelder Ereignissen bis zum Mittag des 17. Juni nachvollzogen werden. Daß es trotzdem zur Eskalation kam, daß der Staat in Bitterfeld partiell und temporär beseitigt wurde, muß offenbar mit der mobilisierenden Wirkung der Demonstrationszüge und der Kundgebung auf breite Bevölkerungskreise Bitterfelds begründet werden, die den Staat nur als Vollzugsorgan wahrnahmen, seine Funktion als Arbeitgeber für 53,47 % der Beschäftigten in der DDR aber vernachlässigten. Die konkreten Veränderungen in der Zusammensetzung der Demonstranten können nicht quantitativ bestimmt werden; sicher scheint allerdings zu sein, daß viele Jugendliche bei den Ausschreitungen gegen öffentliche Gebäude eine Rolle spielten.
Die bereitwillige Delegation der errungenen Ohnmacht, denn vollziehende Gewalt besaß man zu keiner Zeit, an eine sich zufällig zusammensetzende Gruppe von Betriebsvertretern und geltungsbewußten Einwohnern, deren Entscheidungen später widerspruchslos und bereitwillig von den betrieblichen Streikleitungen entgegengenommen wurden, markierte den Beginn des Aufstandes in der Stadt, wobei hierin gleichzeitig sein Ende begründet lag. Das Kreisstreikkomitee zeigte sich unfähig, die Handlungen der Massen zu kanalisieren bzw. das Ergebnis von Ausschreitungen und Besetzungen - die Beseitigung der Staatsmacht - für eine organisierte Weiterführung des Aufstandes zu nutzen. In diesem Komitee trafen die unterschiedlichsten Charaktere aufeinander, die durch keine innerbetriebliche Solidarität - wie beispielsweise in den Großbetrieben - verbunden waren. Das Geltungsbedürfnis einzelner Mitglieder und ihre Dominanz innerhalb des Komitees war für seine Arbeit prägend, eine eingehende Analyse der Interaktion im Kreisstreikkomitee kann im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht durchgeführt werden. Das Einwirken des Komitees mittels Aufrufen an die Bevölkerung über den Stadtfunk hatte am Nachmittag des 17. Juni offenbar zu einer allmählichen Deeskalation der Lage in der Stadt geführt. Das Unterlassen von Widerstandsappellen beim Eintreffen der Sowjetarmee hatte Bitterfeld eine blutige Auseinandersetzung erspart. Im Vergleich zur Qualität des Konfliktes in der Stadt hat es hier nur wenige Opfer gegeben. Neben einigen Verletzen waren am 17. Juni keine getöteten Personen zu beklagen. Der relative Realismus der maßgebenden Personen im Kreisstreikkomitee hatte - in Kenntnis der eigenen Ohnmacht - hier wahrscheinlich beschwichtigend auf den Kampfwillen einiger Streikaktivisten gewirkt. Das Handeln des Komitees muß also ambivalent beurteilt werden.
Die Tage nach dem 17. Juni sind vor allem durch betriebliche Auseinandersetzungen um soziale und wirtschaftliche Verbesserungen in der Situation der einzelnen Belegschaftsmitglieder, aber auch durch Forderungen nach Freilassung von verhafteten Kollegen geprägt. In den Großbetrieben kam dazu noch der Widerstand gegen die Besetzung der Werke durch die Sowjetarmee. In verschiedenen kleinen Firmen im Kreis kam es erst am 18. oder 19. Juni zu meist kurzzeitigen Auseinandersetzungen mit betrieblichen Funktionären, die teilweise von Streiks begleitet wurden. Im allgemeinen wurde die Arbeit am 20. Juni, spätestens aber am 22. Juni wieder aufgenommen, wobei kleinere Betriebe teilweise bis zum 19. Juni geschlossen bestreikt wurden. Die Belegschaften der Großbetriebe waren in Hinsicht der Arbeitsaufnahme großem ideologischem Druck ausgesetzt, deshalb kam es hier bereits am 18. und. 19. Juni in einzelnen Abteilungen wieder zur Arbeitsaufnahme. In der Farbenfabrik Wolfen nahmen nach Polizeiangaben am 17. Juni ca. 50 %, am 18. Juni ca. 27 % und am 19. Juni ca. 3 % der Belegschaft am Streik teil, dabei wurde als Basis die Stärke der Gesamtbelegschaft zugrunde gelegt. Da aber in einem Schichtbetrieb nie die vollständige Belegschaft erscheinen mußte, kann man davon ausgehen, daß am 17. Juni der Betrieb voll und am 18. Juni zum größten Teil bestreikt wurde. In der Farbenfabrik wurde ein Produktionsausfall von 1,8 Mio. DM verzeichnet. In der Filmfabrik Wolfen streikten nach Polizeiangaben am 17. Juni ca. 50 % der Gesamtbelegschaft, d. h. wahrscheinlich wieder die gesamte Tagschicht, am 18. Juni 70 % und am 19. Juni 40 % der entsprechenden Schichtbelegschaft. Während des Streiks wurden 734.000 DM Produktionsausfall registriert, an zerstörten Sichtwerbungselementen entstand ein Schaden von 3.800 DM. Aus dem EKB sind keine genauen Angaben über die Streikteilnahme nachzuweisen, hier wurde vom 17., 18. und 19. Juni lediglich von 7.000 bis 8.000 Streikenden bei 12.558 Belegschaftsmitgliedern berichtet.
Aber auch nach dem 22. Juni verstummte der Widerstand in den Betrieben nicht. Durch soziale und wirtschaftliche Zugeständnisse versuchten die Betriebsleitungen den aufgestauten Unmut unter der Belegschaft abzubauen, jedoch wurden durch die offizielle Stigmatisierung des 17. Juni neue Konfliktpole geschaffen, die das Mißtrauen der Arbeiterschaft gegenüber der Regierung und der SED nicht abzubauen halfen. Zunächst war da die Inhaftierung einer Reihe von Streikaktivisten. Die Verfolgung von Teilnehmern eines - in den Augen der Arbeiterschaft - gerechtfertigten Arbeitskampfes, rief bei vielen Kollegen der Verhafteten ein starkes Solidaritätsempfinden hervor, was letztendlich zu Widerstandsaktionen bis hin zum Streik führte. Aber auch die Entlohnung der Streiktage um den 17. Juni wurde zu einem umstrittenen Problem. Die betrieblichen Funktionäre konnten auf solche Probleme nur mit verstärkter Agitation und ideologischem Druck reagieren, da die Lösung derartiger Fragen nicht in ihrer Kompetenz stand; die Forderungen der Arbeiterschaft waren wiederum an den Staat als Arbeitgeber gerichtet.
Der 17. Juni 1953 war der Höhepunkt eines Konfliktes zwischen Staat und Gesellschaft in der DDR, insbesondere zwischen der Arbeiterschaft im volkseigenen Sektor und dem Staat als Arbeitgeber. Das untersuchte Beispiel des Industriereviers Bitterfeld-Wolfen macht diesen Konflikt verstärkt deutlich. Die - im Vergleich zu den übrigen Arbeitnehmern - privilegierten Beschäftigten der volkseigenen Großbetriebe, hierzu kann man vereinfachend auch die SAG Filmfabrik Wolfen zählen, forderten vom Staat - ihrem Arbeitgeber - versprochene Verbesserungen ihrer sozialen und ökonomischen Lebenssituation auch mit Mitteln des Arbeitskampfes ein. Andere ebenfalls unzufriedene Bevölkerungsschichten sahen in diesem Arbeitskampf ein Signal für die Beseitigung des verhaßten Regimes, wobei sie auf die Unterstützung der Arbeiterschaft bauten. Jedoch versagte ein großer Teil der Arbeiterschaft hierfür die Unterstützung und der Aufstand scheiterte. Der nur teilweise erfolgreiche Arbeitskampf wurde jedoch mit mehr oder minder starkem Erfolg in subtileren Formen fortgeführt.
Kapitel 4 |
Inhalt |
© Olaf Freier (1995) |